Seitdem ich reden kann, erzähle ich Geschichten. Mal kurz und informativ, mal lang und episch, gern spannend und relevant, hin und wieder aber auch einfach nur unsinnig-doof. Geschichten sind das Fenster, durch das wir die Welt sehen. Sie helfen uns Dinge zu verstehen, und manchmal auch nicht zu verstehen. Sie definieren unser Leben, und unser Leben definiert sie.
Meine ersten Geschichten, die mehr als nur eine handvoll (un)glückliche Leser gefunden haben, hat die Westfalenpost veröffentlicht. Die Lokalzeitung meines Heimatorts, für die ich in meiner Schulzeit als Reporter und Fotograf unterwegs war. Es waren Artikel über Vereinsjubiläen, Restauranteröffnungen, Kreisliga-Spiele und Taubenzüchter. Aber es waren auch Geschichten. Geschichten über Menschen, Geschichten über Orte, Geschichte über Dinge die waren, Dinge die sind, und Dinge die vielleicht mal sein werden. Mehr als 300 Geschichten, die ich erzählen durfte. Durch die ich Erzählen lernen durfte.
Mittlerweile erzähle ich wahre Geschichten vor allem in Bild und Ton. Als Video-Journalist, Regisseur und Autor beim Norddeutschen Rundfunk und der ARD habe ich den vielleicht besten Beruf gefunden, den ein Geschichtenerzähler finden kann. Bei dem ich Menschen treffen und Abenteuer erleben; aber auch erklären, informieren, aufdecken und – last but not least – meinen Lebensunterhalt verdienen kann.
Doch Geschichten müssen nicht immer wahr sein. Einige der besten Geschichten der Welt sind nicht wahr, zumindest nicht im wahrsten Sinne des Wortes. Und so sind auch meine schönsten Geschichten – oder zumindest ein paar, die ich dafür halte – nie wirklich passiert. Zumindest nicht außerhalb meines Kopfs.
Seit ich 14 bin – und mit gebrochenem Oberarm und leicht angebrochenem Stolz in einem Krankenhausbett lag – schreibe ich unwahre Geschichten. Mystery. Dark Fantasy. Horror. Über düstere Wesen, die in meinem Kopf leben und auf meiner Seele tanzen. Verstörend, faszinierend und wunderschön.
Und weil es zuweilen recht voll wird in meinem Kopf – zu voll, manchmal, um die wahren von den unwahren Stimmen zu unterscheiden – bin ich heilfroh, dass einige dieser Wesen mittlerweile umgezogen sind. Von der dunklen, heizungslosen Souterrain-Wohnung in meinem Verstand in ein geräumiges Loft zwischen zwei Buchdeckeln.
Zwei Romane, ein Kurzgeschichtenband und Dutzende halb- oder viertel-fertige Geschichten zählen mittlerweile zu meinem Immobilienimperium. Ein Imperium, das bisher noch deutlich mehr kostet als es einbringt. Aber das mich glücklich macht. Trotz zugiger Fenster, feuchter Wände und dreister Mietnomaden. An dem ich weiter mauern, tapezieren und schrauben werde. Bis es irgendwann groß genug ist, um in die wahre Welt hineinzuragen.
Mittlerweile sind mehr als zwei Jahrzehnte vergangenen, seitdem mein erster Artikel in der Westfalenpost erschienen ist. Zwei sagenhafte Jahrzehnte, in denen ich so viele Geschichten erzählen durfte. Von fast überall auf dieser Welt – und immer mal wieder auch aus anderen Welten. Und plötzlich taucht mein Name dann erneut in der Westfalenpost auf. Zu Beginn eines Artikels, der nicht von mir geschrieben wurde, sondern über mich! Eine wahre Geschichte – über einen echten Träumer.